Die Corona-Pandemie führt seit November erneut zu einem fast vollständigen Herunterfahren des öffentlichen Lebens, um die Infektionszahlen und die Zahl der Todesopfer so gering wie möglich zu halten. Darunter leiden die Menschen in Deutschland und darunter leidet auch die Wirtschaft.
Die Wirtschaft benötigt jetzt Öffnungsperspektiven, wirksame staatliche Unterstützungsprogramme, Digitalisierung und innovative Ideen – dafür steht auch der Händlerbund. Doch für einige politische Entscheidungsträger braucht es derzeit anscheinend noch etwas anderes: Einen Sündenbock, der für die Einbrüche der Wirtschaft büßen soll.
Online-Handel soll bestraft werden
Es brauche eine Paketabgabe für den Online-Handel, forderten Ende 2020 zwei Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion. Nach Extra-Steuern für Online-Händler riefen kurz darauf die Oberbürgermeister von Mainz, Ebling (SPD), und Bremen, Bovenschulte (SPD). Zuletzt schaltete sich Tübingens Oberbürgermeister Palmer (B90/Die Grünen) ein und verlangte mit zwei Amtskollegen eine Mehrwertsteuererhöhung für Online-Käufe auf 25 Prozent.
Der Grund für diese aberwitzigen Ideen: Der Online-Handel führe zur Verödung der Innenstädte und Online-Händler würden aufgrund von Steuervermeidung ungerechterweise weniger Steuern in die Kassen der Kommunen und Städte geben.
Falsche Grundannahme 1: Online-Händler zahlen keine Steuern
Diesen Forderungen und Überlegungen liegen völlig falsche Annahmen zugrunde. Der Großteil des Online-Handels hat mit Steuervermeidung nichts zu tun. Viele Menschen denken nämlich immer noch, dass man Amazon als alleinigen Vertreter des E-Commerce betrachten kann und nutzen Online-Handel und Amazon bloß als Synonyme. Dabei wird verkannt, dass es zehntausende von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind, die den Online-Handel in Deutschland prägen und deren größter Verdienst es ist, dass sie die Versorgung der Bevölkerung auch während der verschiedenen Lockdowns gewährleistet haben.
Und diese Online-Händler zahlen ihre Steuern und tragen damit zu gesunden Kommunen und Städten bei. Wer diese Händler über einen Kamm mit den Digital-Giganten schert und einfach nur unfair verallgemeinert, lenkt davon ab, was eigentlich geschehen müsste: Faire Besteuerung für die wenigen Tech-Riesen innerhalb der Europäischen Union, ohne dass diesen Unternehmen weiterhin Steuerschlupföcher geboten werden.
Falsche Grundannahme 2: Der Online-Handel sorgt für die Verödung der Innenstädte
Die rasante Entwicklung des Online-Handels ist keine Ursache für die Verödung deutscher Innenstädte – sie ist ein Symptom. Den E-Commerce jetzt als Sündenbock heraus zu kramen, wird der Realität nicht gerecht, denn den Innenstädten geht es aus vielen anderen Gründen schlecht.
Dazu gehört, dass die Kaufkraft in Deutschland in der Pandemie zurückgegangen ist. Gleichzeitig steigen die Immobilienpreise in vielen Innenstädten exponentiell. Das passt nicht zusammen. So finden sich auch dadurch fast nur noch immer die selben großen Geschäftsketten in der Innenstadt. Innovative Geschäftsmodelle bekommen so keine Chance und können sich nicht durchsetzen. Auch die Gastronomie kämpft mit den Mietpreisen oder etwa bürokratischen Hürden für die Außenbewirtung. Das wirkt sich negativ auf die Struktur der Innenstadt aus – und sie wird unattraktiv für die Bürgerinnen und Bürger.
Gleichzeitig haben Stadtplaner und Politik in den vergangenen Jahrzehnten oftmals riesige Verkaufsflächen auf die grüne Wiese und an die Stadtränder gesetzt. Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu zynisch, den Online-Handel als Schuldigen für die Verödung der Innenstadt zu nennen.
Wen würden Strafsteuern für den Online-Handel treffen?
Bleibt man zum Beispiel bei der Forderung einer Mehrwertsteuererhöhung auf 25 Prozent im Online-Handel, sind die Leidtragenden schnell gefunden: Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Mehrwertsteuer bekanntlich zahlen müssten. In Zeiten der Krise, der Kurzarbeit und der Existenzangst sollen den Verbrauchern noch die Preise erhöht werden? Wenn die Bevölkerung durch Schließungen gleichzeitig zum Online-Kauf gezwungen und zusätzlich zur Kasse gebeten wird, ist das perfide.
Paketabgaben oder höhere Steuerabgaben, die direkt auf die Händler abzielen, würden diese natürlich hart treffen. In der Krise sind höhere Steuern das falsche Signal. Und gerade Online-Händler haben die Menschen in Deutschland durch die Krise gebracht. Während der Einzelhandel schließen musste, konnten sich die Bürgerinnen und Bürger auf die Online-Händler verlassen, die unter Höchstleistungen die Versorgung der Bürger mit teils lebenswichtigen Waren gesichert haben. Man sollte diesen Händlern endlich für ihre Leistungen danken, anstatt über Steuererhöhung zu debattieren.
Online-Handel ist keine Bedrohung für den Einzelhandel, sondern die größte Chance
Steuererhöhungen oder sonstigen Strafabgaben würden natürlich auch die stationären Händler treffen, die sich – auch während der Krise – digitalisiert haben. Für viele ist der Gang ins Internet die einzige Chance zu überleben, weil sie es in den Innenstädten nicht mehr schaffen. Dieser Digitalisierungsschritt muss belohnt werden.
Auch vor diesem Hintergrund ist die ständige Gegenüberstellung von Online-Handel und Einzelhandel nicht mehr nachvollziehbar. „In diesen Zeiten muss jeder stationäre Einzelhändler auch ein Online-Händler sein,” erklärt Andreas Arlt, Bundesvorstand beim Händlerbund e.V., dem größten Onlinehandelsverband Europas. „Nicht erst seit der Corona-Krise und drastischen Einschnitten in die Geschäftstätigkeit sind digitale Vertriebswege unverzichtbar. Betroffene Branchen müssen unterstützt werden – aber das darf nicht auf Kosten des Fortschritts und der Digitalisierung passieren.”
Was brauchen die Innenstädte?
Zahlreiche Expertinnen und Experten haben sich in den letzten Monaten damit beschäftigt, welche Konzepte, Ideen und Maßnahmen die Innenstädte wieder attraktiver und lebendiger machen könnten. Keines der dabei erarbeiteten Konzepte beinhaltet, dass Menschen davon abgehalten werden sollen, online zu shoppen oder dass Online-Händler stärker belastet werden müssen. Stattdessen sind sich die Expertinnen und Experten einig: Es braucht innovative Lösungen, um die Ursachen zu bekämpfen – und nicht die Symptome.
So fordern beispielsweise die Grünen Flexibilität bei Gewerbemieten, Käufe von Immobilien durch Kommunen, Investitionen in Stadtentwicklungsprojekte, unbürokratische Mischnutzungen von Immobilien, Digitalisierungsmaßnahmen (z.B. Pick-Up-Läden online bestellter Artikel oder lokale Handelsplattformen) oder mehr Grünflächen in den Städten.
Es braucht also konzeptionelles Neudenken in den Städten. Der Handel muss sich digitalisieren, Kultur und Gastronomie müssen gefördert und unterstützt werden, es muss schöne Orte zum Verweilen geben. Ebenso können regelmäßige Veranstaltungen Menschen anlocken. Der Einkauf in der Innenstadt könnte als „Event-Einkauf” verstanden werden.
Konzepte zum Erhalt der Innenstädte gibt es genug und man muss nicht einmal lange danach suchen. Jetzt muss nur noch der politische Wille da sein, diese Konzepte auch anzugehen und umzusetzen. Dann könnte man sich die rhetorischen Angriffe auf den Online-Handel auch sparen.
Bereits im Dezember 2020 hat der Händlerbund ausführlich zur Forderung nach einer Paketabgabe für den Online-Handel Position bezogen. Das ganze Papier kann hier abgerufen werden.