Benutzung schließt Widerrufsrecht nicht aus
Vielleicht bist du schon einmal über die Aussage gestolpert, dass die Benutzung einer Ware das Widerrufsrecht von Verbrauchern gänzlich ausschließt. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Dass ein Widerrufsrecht generell ausgeschlossen sein soll, wenn der Artikel benutzt wurde, kann man dem Gesetz nicht entnehmen. Wenn Verbraucher die bestellte Ware öffnen und überprüfen, auch wenn diese deshalb im Einzelfall nicht mehr weiter verkäuflich sind, führt kaum ein Weg daran vorbei, den Widerruf zu akzeptieren. Zwar ergibt sich für Verbraucher ein gesetzliches, begrenztes "Prüfungsrecht". Wird dieses überschritten, schließt dies das Widerrufsrecht aber nicht aus.
Gesetzliche Grundlage für einen Wertersatz
Das bedeutet aber nicht, dass du jeden Umgang mit Waren innerhalb des Widerrufsrechts auch schutzlos hinnehmen musst. § 357 Abs. 7 BGB besagt, dass der Verbraucher dem Unternehmer unter Umständen Wertersatz schuldet, wenn die Ware an Wert verloren hat.
Voraussetzungen:
- Der Grund für den Wertverlust muss darin liegen, dass der Verbraucher in einer Art und Weise mit dem Produkt umgegangen ist, die zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften oder der Funktionsweise nicht erforderlich war, außerdem
- muss der Händler den Verbraucher über sein Widerrufsrecht informiert haben.
Kommt ein Anspruch auf Wertersatz für mich infrage?
Wertersatz kann verlangt werden, sofern mehrere bestimmte Bedingungen vorliegen. Er kommt dann ins Spiel, wenn der Umgang mit der Ware über das zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise "Notwendige" hinausgeht. Der Wertersatz soll dich als Händler und Unternehmer dafür entschädigen, dass die Ware durch die, über die zulässige Prüfung hinausgehende, Verwendung an Wert verloren hat. Ob die Voraussetzungen für einen Wertersatz vorliegen, muss immer im Einzelfall entschieden werden, gerade die Frage, ob ein zum Wertersatz berechtigender Umgang mit der Ware vorliegt, kann komplex sein.
Zunächst musst du feststellen, um welches Produkt es sich konkret handelt. Dann kannst du feststellen, was aus objektiver Sicht zum Prüfen der Eigenschaften des konkreten Produktes erforderlich ist oder ob ein Wertersatz in Frage kommt. Vom konkreten Produkt ist es letztlich auch abhängig, ob sich der Wertverlust der Ware nach der Verkehrssitte noch in einem Rahmen bewegt, der zur Prüfung der Ware notwendig ist.
Praxisbeispiel zum Wertersatz
Der Bundesgerichtshof stellte im sog. "Wasserbetten-Fall" fest, dass der Aufbau eines Wasserbetts und die Befüllung der Matratze als Prüfung der Sache anzusehen war, die nicht wertersatzpflichtig ist (Urteil vom 03.11.2010, Az.: VIII ZR 337/09). Da es sich bei einem Bett regelmäßig um eine langfristige, für das eigene Wohlbefinden nicht unerhebliche Anschaffung handele, dürfte auch eine dreitägige Nutzung noch als angemessene Prüfung zu werten sein. Auf die Höhe des Wertersatzes und dessen Berechnung musste das Gericht somit nicht mehr eingehen.
Das Amtsgericht Köln hat mit Urteil vom 04.04.2012 (Az.: 119 C 264/11) für Matratzen entschieden, dass höchstens zwei Tage Probeschlafen auf einer Matratze eine angemessene Prüfung der Ware darstellt, während fünf Tage Probeschlafen für die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware nicht notwendig und demnach wertersatzpflichtig sind. Erst Recht muss kein Wertersatz geleistet werden, wenn eine Nacht Probe geschlafen wird (Amtsgericht Bremen, Urteil vom 15.04.2016, Az.: 7 C 273/15).
Wie berechne ich die Höhe des Wertersatzes?
Steht fest, dass der eingetretene Wertverlust auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung nicht notwendig war, musst du die Höhe des Wertverlustes bestimmen. Für die Berechnung des Wertersatzes gibt es keine festen Pauschalen und keine gesetzlich festgelegten Berechnungsparameter. Es kommt also auch in dieser Frage auf die Lage im Einzelfall an. Die Berechnung des Wertersatzes erfolgt im Grundsatz durch eine realistische Einschätzung, zu welchem Preis die Ware in dem aktuellen Zustand noch angeboten bzw. verkauft werden kann. Einbeziehen musst du auch anfallende Kosten für eine Reparatur oder Reinigung.
Beispiel: Der ursprüngliche Kaufpreis beträgt 39,90 €. Kann die Ware im jetzigen Zustand nur noch für 25,00 € verkauft werden, liegt der Wertverlust bei 14,90 €. Dieser Wertverlust ist vom Kaufpreis, den der Händler zurückerstatten muss, abzuziehen.
Im Grundsatz gilt: Die Höhe des Wertersatzes muss realistisch eingeschätzt werden. Eine Überprüfung, ob der Wertersatz in der geschätzten Höhe dann tatsächlich entstanden ist, kann im Streitfall allerdings nur ein Gericht entscheiden.
Praxisbeispiel zur Berechnung von Wertersatz
- Das Amtsgericht Köln (s.o.) veranschlagte im "Matratzen-Fall" beispielsweise einen Wertersatz in Höhe von 6% des Kaufpreises pro Testnacht, jedoch ohne die Berechnungsgrundlage näher zu erläutern.
- In einem Fall, der uns zur Rechtsberatung vorgelegt wurde, sendete ein Kunde einen Wäscheständer in völlig zerstörtem Zustand zurück. Hier musste ein Wertverlust in Höhe von 100% des Kaufpreises in Abzug gebracht werden.
- Laut dem Amtsgericht Bremen sei bei der Berechnung auf den Umfang der tatsächlichen Nutzung durch den Verbraucher im Verhältnis zur voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer abzustellen. Beispiel: Bei einer Nutzungsdauer einer Matratze von 10 Jahren und dem Kaufpreis für die beiden Matratzen von 939,79 Euro sei der Umfang der tatsächlichen Nutzung als Grundlage für einen Wertansatz mit rund 0,52 Euro für eine Testnacht auf beiden Matratzen zu veranschlagen (Amtsgericht Bremen, Urteil vom 15.04.2016, Az.: 7 C 273/15).
Vergiss die Belehrung des Verbrauchers nicht
Eine weitere Voraussetzung für die Geltendmachung eines Wertersatzes ist, dass du den Verbraucher ordnungsgemäß über das Bestehen des Widerrufsrechts und den Wertersatzanspruch informiert hast.
Bist du bereits Mitglied des Händlerbundes, verwende in den zur Verfügung gestellten Rechtstexten eine solche Belehrung, die in den Shop unter einer gut sichtbaren Schaltfläche (z.B. "Widerrufsrecht") integriert wird. Die Widerrufsbelehrung muss dem Verbraucher außerdem nach Vertragsschluss, spätestens jedoch bei der Lieferung der Ware auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt werden (z.B. per E-Mail, USB-Stick oder in Papierform). Eine pauschale Wertersatzpflicht, mit festgesetzten Beträgen oder ähnlichem wäre zwar eine einfache Lösung. Sie kann gegenüber Verbrauchern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen allerdings nicht vereinbart werden.
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